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Eine etwas andere Version dieser Geschichte…
Es war einmal ein Farmer, der ein verlassendes Adlerei fand. Er nahm es mit nach Hause auf seinen Hof und legte es dort in das Nest einer seiner Hühner. Wenige Tage später schlüpfte der kleine Adler mit all den anderen Küken. Er wuchs zusammen mit ihnen auf. Später kratzte er in der Erde nach Würmern und gackerte dabei. Und ab und zu hob er einen Flügel und flog ein Stück, genau wie die anderen Küken. Er lebte ein zufriedenes und scheinbar glückliches Leben als „Huhn“. Denn niemand hatte ihm vorgelebt, als der zu leben, der er eigentlich war: ein Adler.
Er und die „anderen“ Hühner kannten nur den begrenzten Bereich des Hofes, auf dem sie lebten. Sie kannten nur Körner picken, im Dreck scharren, gackern und nachts auf der Stange schlafen. Jeden Morgen weckte sie der Schrei des Hahns. Der Hahn war übertrieben stolz, kontrollierte die Hühner hart und achtete darauf, dass sie sich ihm alle unterordneten. Auch der Adler ordnete sich dem Hahn unter, denn er kannte es nicht anders.
Manchmal kam der gefürchtete Feind des Hühnerhofes vorbei, der Fuchs… Er kam und jagte allen Angst und Schrecken ein. Ab und zu konnte er ein Huhn erwischen, das nicht vor ihm davon fliegen konnte. Auch der junge Adler hatte Angst vor dem Feind und er wusste sich weder zu wehren, noch zu schützen. Er fühlte sich, wie die anderen Hühner, klein und hilflos.
In Momenten der Angst und vielen Fragen über sein Leben blickte er zum Himmel empor. Er genoss den Blick in den klaren, blauen Himmel, der in ihm eine tiefe, unerklärliche Sehnsucht weckte. „Es muss doch mehr geben, als das…“, dachte er. Doch er versuchte weiterhin, seine innere Leere durch Körner picken, gackern und Lästern über den stolzen Hahn zu stillen. Abends saß er erschöpft auf der Stange zwischen den anderen Hühnern und tat kein Auge zu. „Es muss doch mehr geben!“, schrie er innerlich.
Eines Nachts hüpfte der junge Adler von der Stange und betrat den nächtlichen Hof. Wieder nagten in ihm Angst und Fragen über sein Leben. Er richtete seinen Blick auf – über ihm war der weite Sternenhimmel. Plötzlich hörte er ein lautes Kreischen. Es war der Laut eines anderen, ihm unbekannten Vogels. Über ihm kreiste ein großer, wunderschöner Vogel mit riesigen Schwingen. Er sah sehr anmutig aus und der junge Adler dachte bei sich: „Das ist es… Das muss Freiheit sein!“ In diesem Moment hörte er wieder das markerschütternde Kreischen und einen lauten Ruf: „Adler! Was tust Du dort unten? Du bist berufen, zu Fliegen!“
Der junge Adler dachte noch tagelang über dieses Erlebnis nach. „Hatte der große Adler recht?“, überlegte er. Doch dann plagten ihn wieder die Angst und die vielen Fragen. Er seufzte und dachte: „Ach was, Du bist schon Dein Leben lang auf diesem Hof! Wenn Du zu etwas berufen bist, dann zu Körner picken, zu gackern und um all die anderen Dinge zu tun, die für ein Huhn üblich sind.“ Auch die anderen Hühner bestätigten ihm dies, lachten ihn aus und so vergaß er sein eindrucksvolles Erlebnis in dieser Nacht wieder.
Eines Tages kam jedoch Besuch auf die Farm. Es war ein guter alter Freund des Farmers. Dieser entdeckte den jungen Adler inmitten der Hühner auf der Stange im Hühnerstall sitzen. Angesichts dieses merkwürdigen Anblicks, begann er laut zu lachen, wurde jedoch im nächsten Moment sehr nachdenklich. „Du, wo hast Du denn diesen Adler her? Der benimmt sich ja wie ein Huhn!“, verwunderte er sich. „Ist er dir noch nie davon geflogen?“ „Nö“, meint der Farmer. „Das hat er noch nicht einmal versucht. Er ist schon sein Leben lang auf meinem Hof. Schau doch, wie zahm er ist! Ja, er ist gar kein richtiger Adler – er ist ein Huhn!“
Doch der Freund des Farmers hatte Mitleid mit dem jungen Adler. Früh morgens nahm er ihn vorsichtig von der Stange, schlich sich vom Hof, packte den Adler in sein Auto und fuhr ins Gebirge. Dort angekommen, kletterte er mit ihm auf einen hohen Berg, setzte ihn ab und ging davon.
Die aufgehende Sonne spiegelte sich auf dem mit Schnee bedeckten Berggipfel und das gleißende Licht weckte den jungen Adler. Er blinzelte und staunte plötzlich nicht schlecht, als er weit unter sich das Tal und auch den Hühnerhof erblickte. „Das ist ja mein Hof..!“, dachte er sich. „Wie klein er doch ist!“ Er war sehr verwundert und erfüllt von einer bekannten Sehnsucht. „Es muss mehr geben, das wusste ich!“, rief er und sobald ertönte über ihm ein lautes Kreischen und das Geräusch des Windes in den weit ausgebreiteten Schwingen des großen Adlers. „Adler, wie schön, dass Du hier bist!“, rief der große Adler laut. „Komm, fliege nun! Fliege in Deine Freiheit!“ Und ehe die Angst und die Fragen ihn plagen konnten, stieß er den jungen Adler vom Berg hinunter.
„Ich falle, ich falle!“, schrie der junge Adler voller Panik und wusste sich mit seinen Flügeln nicht zu helfen. Doch einige Meter vor der sich ihm zusteuernden Erde, stürzte sich der große Adler unter ihn, breitete seine schützenden Schwingen aus und trug ihn wieder auf die Bergspitze. „Hab keine Angst, mein Freund. Ich lehre Dich das Fliegen. Bald wirst Du meine Hilfe nicht mehr benötigen und selbst fliegen können!“ Mit diesen Worten warf er ihn wieder hinunter, breitete unter ihm seine Flügel aus und trug ihn wieder zurück auf den Berg. Dieser Vorgang wiederholte sich einige Male und der junge Adler lernte, dem erfahrenen Adler zu vertrauen.
Plötzlich spürte er den auftreibenden Wind in seinen mittlerweile starken Schwingen und stieß sich im Aufwind in die Höhe.
„Adler, ich fliege, ich fliege, ich fliege!“, schrie er aus – mit einem lauten, markerschütternden Kreischen. Und flog davon. In seine Freiheit.

Und gelegentlich kreiste er über anderen Hühnerhöfen, in denen er ebenfalls junge Adler entdeckte und lehrte ihnen das Fliegen.
Julia Berndt, 31.03.2011
Diese Geschichte hat einige Ähnlichkeiten mit der von Sören Kirkegaard über die Gänse
Es gibt verschiedene Varianten dieser Geschichte. Diese hier habe ich in Bezug auf den Glauben umgeschrieben.
Hier mal ein interesantes Zitat, das zu der Geschichte auch gut passt:
„Die Christen leben wie Gänse auf einem Hof.
An jedem siebten Tag wird eine Parade abgehalten und der beredsamste Gänserich steht auf dem Zaun und schnattert über das Wunder der Gänse, erzählt von den Taten der Vorfahren,
die einst zu fliegen wagten und lobt die Gnade und Barmherzigkeit des Schöpfers,
der den Gänsen Flügel und den Instinkt zum Fliegen gab.
Die Gänse sind tief gerührt, senken in Ergriffenheit die Köpfe
und loben die Predigt und den beredten Gänserich.
Aber das ist auch alles.
Eines tun sie nicht – sie fliegen nicht,
denn das Korn ist gut und der Hof sicher.“
(Sören Kierkegaard)
In der Botschaft von der Prophetie für 2016 geht es um das Thema „Fliegen“, geistlich gesehen. Darin ist auch ein längerer Abschnitt über Adler, unter dem Abschnitt „Der Adler als Gleichnis“:
https://prophetenschule.org/2016/01/07/prophetie-fur-2016-lerne-zu-fliegen-learn-to-fly
Und hier auch ein weiterer Artikel dazu:
Die Symbolik des Adlers aus christlicher Sicht
https://prophetenschule.org/2016/10/16/die-symbolik-des-adlers-aus-christlicher-sicht/